Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 02 - Sommer 2025

27 Pavillon Grundlage. Ergänzt wird das Werk durch Handtechniken wie Punch-Needling oder Häkeln, um auch empfindlichere oder widerspenstige Wollreste zu integrieren. Die unterschiedliche Beschaffenheit der Fäden erzeugt ein vielschichtiges Relief, das zwischen textilem Bild und begehbarer Skulptur wechselt. Der Pavillon als Resonanzkörper Der ehemalige Aufbahrungspavillon birgt eine stille Wucht. Seine Geschichte schwingt mit. Für Sofie Hänni und Mara Schenk wurde der Raum im Laufe des Prozesses zur inhaltlichen Richtschnur: «Anfangs war das nicht zentral», sagt Mara Schenk. «Aber dann gab uns der Ort einen Fahrplan.» Und tatsächlich: Der Teppich legt sich nicht einfach in den Raum – er spricht mit ihm. Er aktiviert seine Aura, ohne sie zu vereinnahmen. Keine plakativen Botschaften, keine inszenierte Pietät. Stattdessen: ein tastendes Fragen nach dem, was bleibt. Es geht um Übergänge – zwischen Leben und Tod, zwischen Generationen, zwischen Handwerk und Kunst. Wer sich darauf einlässt, entdeckt in der Installation mehr als ein textiles Werk. Der Geruch der Wolle, die nach wie vor den Duft von Sofie Hännis Grossmutter trägt, der diffuse Schattenwurf der Fäden, das leise Knirschen unter den Schuhen jener, die den Pavillon betreten – all das macht «Le Tapis – der Nachlass» zu einer sinnlichen Erfahrung, die nicht laut werden muss, um zu berühren. Sofie Hänni und Mara Schenk machen keine museale Memorialkunst. Sie schreiben auch keine Biografie. Vielmehr geht es ihnen um eine Würdigung des Alltäglichen – und um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stellenwert textiler Arbeit. «Textiles hatte in der Kunst lange eine Randstellung», sagt Sofie Hänni. Das Werk ihrer Grossmutter – eine vermeintlich unsichtbare, häusliche Arbeit – wird hier nicht ausgestellt, sondern weitergeführt. Die Künstlerinnen verstehen sich als Fortsetzerinnen dieser Praxis. Das ist leise, aber radikal: Durch die Weiterführung und Kontextverschiebung soll eine Würdigung des weiblich konnotierten Handwerks stattfinden. Ein feministischer Akt. Statt neue Materialien zu kaufen, arbeiten sie mit dem, was da ist. Statt zu entwerfen, reagieren sie auf das Vorgefundene. Dieser Ansatz zeigt auch eine künstlerische Haltung. In einer Zeit der Überproduktion und Symbolüberladung verweigert sich das Projekt auf dem Friedhof der schnellen Lesbarkeit. Es setzt auf Tiefe statt Effekte – und gewinnt gerade dadurch an Relevanz. Zwischen Vergänglichkeit und Präsenz Was bleibt nach dem Besuch? Vielleicht das Bewusstsein, dass Erinnerungen nicht museal konserviert, sondern weitergegeben werden müssen. Vielleicht die Erkenntnis, dass ein Faden mehr erzählen kann als ein Buch. Oder schlicht das Gefühl, einem Werk begegnet zu sein, das mit Respekt, Feingefühl und künstlerischer Klarheit einen Zwischenraum öffnet – zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, dem Vergangenen und dem Kommenden. «Le Tapis – der Nachlass» ist eine Einladung zum Innehalten. Eine Arbeit, die sich nicht aufdrängt, aber lange nachwirkt. Gerade weil sie nichts behauptet, sondern eher fragt. Und weil sie zeigt, dass auch das vermeintlich Kleine – ein Knäuel Wolle, ein handgemachter Teppich – ein ganzes Leben in sich tragen kann. «Uns interessiert die Sprache des Materials. Die Form, die Wirkung und die Geschichten, die es erzählt.» Sofie Hänni und Mara Schenk, Künstlerinnen

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