Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 02 - Sommer 2022

9 könne ein Mangel an Zeit auch eine Chance sein, meint er. Zudem seien sie anfänglich von 60 Schülerinnen und Schülern ausgegangen. Kurz vor Schulbeginn seien es dann schon deren 120 gewesen, und mittlerweile ist die Zahl erneut gestiegen. Deshalb lautet die Devise, alles so einfach wie möglich zu halten, pragmatisch zu handeln und allfällige Fehler in Planung und Umsetzung zu akzeptieren. Kinder erleben die Kriegsschrecken hier 1:1 Unterrichtet wird zweisprachig; auf Deutsch und in etwa zur Hälfte Ukrainisch. Dieser «Hybridunterricht» soll einerseits die Integration in der Schweiz unterstützen, andererseits – weil die meisten Geflohenen zurück in die Ukraine möchten – die Rückkehr in die Heimat erleichtern. Die involvierten Lehrpersonen leisten mit ihrem Engagement einen enormen Effort. Heinz Begré, der als Oberstufenlehrer bis Anfang Juni auch noch seine Regelklassen zu unterrichten hatte, konnte mittlerweile hierfür einen Stellvertreter finden. Nebst seiner Aufgabe als Koordinator der zehn Willkommensklassen macht er etwa zweimal wöchentlich einen Rundgang. Dabei wird er zusätzlich mit Schicksalen konfrontiert, welche ihn manchmal auch stark mitnehmen. «Ich bin nahe am Wasser gebaut, und wenn ich von den Kindern höre, was unmittelbar in ihrer Heimat mit Verwandten, Freunden und Nachbarn passiert, habe ich dann und wann Angst, emotional überfordert zu sein.» Mit den heute gängigen sozialen Medien erleben die Kinder und Jugendlichen die Gräueltaten in ihrer Heimat quasi in Echtzeit und ungefiltert. «Sie befinden sich hier in Burgdorf in Sicherheit und sind trotzdem mitten im Geschehen.» So ist neben kulturellen Unterschieden und der Sprachbarriere die Traumatisierung eines der grössten Probleme in den Willkommensklassen. Aus diesem Grund werden sie auch immer zu zweit geführt. «Es gibt immer wieder Vorkommnisse, die es erfordern, einzelne Schülerinnen und Schüler aus dem Klassenverbund zu lösen und getrennt zu betreuen», sagt Heinz Begré. Nicht zuletzt deshalb habe man bei der Organisation der Willkommensklassen auch eine ukrainische Psychologin beigezogen, welche sich bei Bedarf um die Kinder kümmert. Es könnte noch schlimmer kommen Etwa 40% der aus der Ukraine Geflüchteten sind im Schulalter. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler ist im Vergleich zum Kanton in Burgdorf überproportional. Aber nicht nur die Schule trägt hier in der Stadt mit dem Schicksal der Geflüchteten derzeit eine grosse, überproportionale Last. «Die ganze Gesellschaft muss das tragen – und sie tut dies auch; die Solidarität ist ebenfalls überproportional.» Weil ein Ende des Kriegs nicht absehbar ist, stellt sich die Frage, wie es nach den Sommerferien im Herbst- und Wintersemester weitergeht. «Im schlimmsten Fall gehen wir derzeit davon aus, dass sich im Herbst bis zu 12'000 ukrainische Kinder im Kanton Bern befinden, denn in Anbetracht des Winters könnte es eine Flüchtlingswelle geben», befürchtet Heinz Begré. Dies würde die Schulstrukturen noch einmal um ein Vielfaches belasten, und derzeit scheint es nicht möglich, neue Gefässe zu öffnen. Einige der Kinder, die jetzt die Willkommensklassen besuchen, können frühestens nach den Herbstferien eine Regelklasse besuchen. Bedingung ist jedoch das Bestehen eines Deutschtests. Gefordert wird mindestens Niveau A2. «Ukrainische Eltern sind sich gewohnt, dass der Staat mit Tagesschulen für alle die Erziehung der Kinder zu einem grossen Teil übernimmt.» Heinz Begré, Leiter der Willkommensklassen ch umgesetzt Pro Willkommensklasse kümmern sich in der Regel zwei Lehrpersonen um die Kinder und Jugendlichen

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