Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 01 - Frühling 2023

5 Und welche neuen Rechte waren dies? Rainer Schwinges: Grundsätzlich handeln die Artikel der Handfeste von den Regeln des täglichen Haus- und Geschäftslebens der Bürger und Bürgerinnen, von ihren Pflichten und Rechten sowie ihrem Verhältnis zu Nichtbürgern, zu Einwohnern, Gästen und Fremden. Man kann sie auch grob bestimmten Sachverhalten zuweisen, dem Zivilrecht beispielsweise mit Familien-, Erbrecht und Vertragsrecht, demGewerberecht, demMarkt- und Zollrecht sowie der Friedenswahrung und dem Strafrecht. Ältere und jüngere Aussagen stehen nebeneinander, so dass es schwierig ist zu definieren, welche Artikel neue Rechte abbilden. Wichtig und wahrscheinlich neu war das Recht zur freien Verfügung über den Grundbesitz in der Stadt, und dass man für diesen – ausser einem kleinen Geldzins –keine Steuern oder Dienstleistungen zu erbringen hatte. Man hatte also die Freiheit zu kaufen und auch zu verkaufen, und man konnte einmal Erworbenes besitzen und auch vererben. Freiheit wurde auch den Marktgängern gewährt, Frieden und Sicherheit des Zugangs und Zollfreiheit Rainer Schwinges für alle, die kaufen und verkaufen wollten, sofern sie wie es in der Burgdorfer Handfeste formuliert ist, «die Stadtrechte erfüllten». Sie sprechen von einer Stärkung der Städte. Wie sah es denn zur gleichen Zeit auf dem Land aus? Rainer Schwinges: Auf dem Land war die Entwicklung anders. Dort war und blieb man seinem Dienstherrn verpflichtet. Für ihn musste man nicht nur arbeiten und ihm einen Teil der Ernte und des allfälligen Erwerbs abtreten, sondern konnte auch dazu verpflichtet werden, für ihn in den Krieg zu ziehen. Auch Leibeigenschaft war keine Seltenheit. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Städte unter diesen Voraussetzungen zu richtigen Fluchtorten wurden. Daraus hat man im 19. Jahrhundert den schönen Satz «Stadtluft macht frei» gemacht, eine Umkehr des Originals: Luft, also Landluft, macht unfrei. Rechtlich war es so, dass ein sogenannter Unfreier, der sich für mindestens ein Jahr und einen Tag in der Stadt aufhielt, ohne von seinem Herrn entdeckt zu werden, zu einem freien Bürger wurde. Diese Möglichkeit sich zu befreien, aber auch die Aussicht auf ein Auskommen in der Stadt, führten zu einer richtigen Landflucht. Gibt es wichtige Rechte, die in der Handfeste fehlen? Rainer Schwinges: Dafür müssen wir uns vor Augen halten, dass dieses Abtreten von Rechten und Freiheiten nicht freiwillig geschah. Es ging der Herrschaft nicht darum, Horte der ungebundenen Selbständigkeit und Freiheit zu schaffen. Im Vordergrund stand stets, den eigenen Vorteil zu bewahren und zu sichern. Dass es dafür längerfristig besser war, der Bevölkerung gewisse Rechte und Freiheiten zu gewähren, hatte man erkannt. Doch trotz aller Zugeständnisse blieben wichtige Rechte in der Hand der Herrschaft. So wollte sie zum Beispiel auf dem Kronenplatz einen Richtstuhl errichten und auf diesem dreimal im Jahr für alle sichtbar zu Gericht sitzen. Auch die Wahl des zentralen «Trotz aller Zugeständnisse blieben wichtige Rechte in der Hand der Herrschaft.» Prof. Dr. Rainer Schwinges Prof. em. Dr. Rainer Christoph Schwinges, hier im Platanenhof bei der Uni Tobler, ist ein deutsch-schweizerischer Historiker. Er lehrte von 1989 bis 2008 als Professor für Allgemeine Geschichte des Mittelalters an der Universität Bern. Er war u.a. Herausgeber von «Berns mutige Zeit», das 13. und 14. Jahrhundert neu entdeckt. (Bild: Sabine Käch)

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